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Kybernetik

K. ist eine Art und Weise des Denkens, nicht eine Sammlung von Tatsachen und Forschungsergebnissen. Die Disziplin wurde 1948 durch die Veröffentlichung des gleichnamigen Buchs von N.Wiener begründet und von ihm als “Wissenschaft der Verständigung und Kontrolle in Tieren und Maschinen” definiert. Die Begriffe Feedback (Rückkopplung}, Selbstregulierung und zirkuläre Kausalität waren die Angelpunkte der entwickelten Theorien und Technik, die im Zweiten Weltkrieg zur Konstruktion von automatischen Piloten und hitzesuchenden Geschossen und Raketen geführt hatten. Feedback und Selbstregulierung heissen in diesem Zusammmenhang, dass die Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation vom Organismus selbst mit einer erwünschten Situation verglichen und durch angemessene Handlungen an diese Zielsituation angenähert werden kann. Es besteht also eine Kausalschleife (feedback loop), in der Wahrnehmung Handlung bewirkt und Handlung veränderte Wahrnehmung und diese wiederum Handlung. Der Erfolg der praktischen Anwendungen dieser Prinzipien regte intensive weitere Forschung an, die dann den Bau von intelligenten Maschinen ermöglichte, die logische Theoreme beweisen und Schach spielen konnten. Im Schatten dieser technologischen Errungenschaften wurden die von N.Wiener (1948), W.S.McCulloch (1948) und von Foerster (1951) hervorgehobenen epistemologischen (Erkenntnistheoretischen) Konsequenzen kybernetischen Denkens kaum beachtet. Doch es war eben der praktische Erfolg, der die Einsicht mit sich brachte, dass zielstrebiges Verhalten eine solide wissenschaftliche Basis hatte und nicht mehr als teleologischer Aberglaube abgetan werden konnte. Grundprinzip im kybernetischen Denken ist nicht wie in anderen Wissenschaften die lineare Folge von Usache und Wirkung, sondern der richtunggebende Einfluss von Hindernissen und Schranken (Bateson, 1972). Musterbeispiel ist die Evolutionstheorie, dernach das Überleben von Oragnismen durch natürliche Auslese, d.h. Hindernisse der Umwelt, dauernd in vielen Richtungen verhindert wird, so dass Entwicklung nur im Rahmen beschränkter Möglichkeiten stattfinden kann. Im Rückblick lässt sich feststellen, dass diese Einsicht bereits in J.Piagets Genetischer Epistemologie implizit enthalten ist, denn auch da wird Entwicklung im biologischen wie im kognitiven Bereich nicht durch Ursachen, sondern durch vorhandene Möglichkeiten gesteuert. In Piagets Schematheorie (^Wissen als Konstrukt) werden Handlungs- und Denkweisen geändert, wenn sie scheitern (negativer Feedback), und im Lauf von weiteren Versuchen und Fehlschlägen erfolgreicher gemacht. Im Bereich der Epistemologie hat die Wissenstheorie des Radikalen Konstruktivismus die Einsichten Piagets mit Hilfe der kybernetischen Grundprinzipien erweitert und besonders in der Didaktik und der Psychotherapie anwendbar gemacht. Ein Nebenprodukt der kybernetischen Forschung war die Kommunikationstheorie von Shannon und Wiener (^Informationsübertragung).

Literatur

McCulloch, W.S.(1948). Through the den of the metaphysician, U.of Virginia.

Foerster, H.von (1951) Transactions of the 6th Macy Conference, New York.

Bateson, G. (1972) Steps to an ecology of mind. New York.

Copyright: Der Beitrag erscheint in "Das Große Lexikon Medien und Kommunikation" herausgeben von Leon R. Tsvasman. © 2006 Ergon-Verlag Dr. H.-J. Dietrich, Würzburg, Germany.