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Informationsübertragung

Was im allgemeinen Sprachgebrauch Information genannt wird schliesst alle möglichen Formen von Wissen ein, insbesondere Wissen, das zur Aus- oder Weiterf¨ührung von Handlungen oder Denkvorgängen nötig ist. Der Aufbau dieses Wissens hat zunächst nichts mit Informationsübertragung zu tun, es sei denn man bestehe auf dem naiv-realistischen Standpunkt, Information habe dinghafte Existenz und liesse sich von einer vom Beobachter (erlebendes Subjekt) unabhängigen Realität ablesen. Auch vom kommunikationstechnischen Gesichtspunkt aus kann wissensbildende oder –ändernde Information nicht von Sendern zu Empfängern übertragen werden. Diese Übertragbarkeit ist eine Illusion. Nur Zeichen können von einem Ort zu einem anderen gesendet werden, mittels Schall- oder Lichtwellen im Fall der Sprache, mittels elektromagnetischer Wellen in Telegrafie, Telephon, Radio und Fernsehen. Die Bedeutung von Zeichen, d.h. wie die Zeichen verstandend werden sollen, kann nur von denjenigen verstanden werden, die im Besitz des betreffenden Schlüssels oder Kodes sind. Obschon dieser Sachverhalt seit der Antike bekannt war, haben erst C.Shannon (1948) und N.Wiener (1948) ausdrücklich hervorgehoben, dass das, was als “Information” von einem Raum- oder Zeitpunkt zu einem anderen übertragen werden kann nicht etwa Nachrichten oder Mitteilungen sind, sondern ausschliesslich Zeichensignale, in die sie vedrschlüsselt wurden. Wiener hat dies durch ein einleuchtendes Beispel erläutert. Wenn Sie einer im Ausland wohnenden Bekannten Blumen schicken wollen, geben Sie einem Blumengeschäft etwa den Auftrag, ein Dutzend Rosen sowie die Botschaft “Alles Gute zum Geburtstag” an eine bestimmte Adresse zu liefern. Das Geschäft verwendet einen internationalen Kode, demnach ein Dutzend rote Rosen und die erwünschte Botschaft etwa durch die Zahl 81 bedeutet werden. Was übertragen wird, ist also lediglich die Adresse, die auf einen bestimmten Punkt auf einem Stadtplan deutet, und die Zahl, die einer bestimmten Stelle im Blumenkode entspricht. Die Information, die übertragen wird, besteht also lediglich aus Anweisungen zur Auswahl von Elementen aus einem dem Sender wie dem Empfänger bereits bekannten Kode oder Stadtplan.

Diese Einsicht ist von besonderer Wichtigkeit im Bereich der sprachlichen Verständigung. Kinder wachsen in den Sprachgebrauch, ohne dass man ihnen einen Kode der Wortbedeutungen geben könnte. Sie müssen diese Bedeutungen zunächst in der eigenen Erfahrung im Lauf von Versuchen und Fehlschlägen für sich selbst aufbauen. Erst wenn sie eine erhebliche Zahl von mehr oder weniger verlässlichen Wortbedeutungen entwickelt haben, können Erwachsene anfangen, die Bedeutung neuer Wörter mit Hilfe der bereits bekannten zu erklären. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch diese Erklärungen vom Kind stets nur im Sinne eigener Erfahrungen interpretiert werden können. “Verstehen”, was andere gesagt oder geschrieben haben, heisst also nicht mehr, als dass man die wahrgenommenen Worte so interpretiert, dass sie mit vorhergehenden, mit dem, was man von den betreffenden anderen weiss. sowie mit den eigenen Vorstellungen von der Welt keine unüberbrückbaren Widersprüche schaffen. Nicht selten geschieht es ja, dass wir glauben verstanden zu haben, aber durch eine spätere Aussage gezwungen werden, unsere Interpretation umzubauen. Verständnis, könnte man sagen, ist also immer nur “bis auf Weiteres”.

Literatur

Shannon, C.E. (1948) The mathematical theory of communication. Bell Systems Technical Journal, 27, 379-423 & 623-656.

Wiener, N. (1948) Cybernetics, Cambridge Massachusetts: M.I.T. Press.

Copyright: Der Beitrag erscheint in "Das Große Lexikon Medien und Kommunikation" herausgeben von Leon R. Tsvasman. © 2006 Ergon-Verlag Dr. H.-J. Dietrich, Würzburg, Germany.